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AutorenbildGeorg Hertweck

Die gallischen Metzger vom Dörfle


Helmut Goettl: "Die Rolle des Zufalls.."

„Die Rolle des Zufalls in der Karlsruher Gesellschaft und Architektur“ - passender hätte der Künstler Helmut Goettl sein Werk nicht benennen können. Es zeigt die Rampe der Fußgängerbrücke, die im Zuge der Zähringerstraße aus dem Dörfle kommend die Fritz-Erler-Straße überbrückt. Irgend etwas scheint da nicht zu stimmen und die Symmetrie zu stören. Auch wenn man sich von der anderen Seite nähert, fällt das „Loch“ ins Auge. Welcher Zufall hatte hier seine Finger im Spiel?


Des Rätsels Lösung ist ein schmuckes rot-weißes-Schild mit der Aufschrift „Metzgerei Nägele“. Deren Eigentümer, Karl Nägele, hatte sich in den 70er Jahren entschieden gegen den Abriss seines Hauses während der Sanierung des Dörfles gewehrt.

Einem Reporter der „Zeit“ gegenüber plauderte Karl Nägele vor vielen Jahren einmal aus dem Nähkästchen: "Da rufen sie einen an: Herr Nägele, Sie kriegen eine Brück’ vors Haus. Hab’ ich gsagt, och, des isch doch Ihre Angelegenheit. Da waren zwanzig Herren da, die haben auf uns reingearbeitet. Dann kamen noch Agenten und Häusermakler, die haben gedroht mit – was weiß ich."

Doch der Metzgermeister, dessen Familie seit 1928 das Geschäft betrieb, blieb standhaft – mit Erfolg. Bis heute ist das Haus erhalten geblieben und weil die Metzgerei ja einen Zugang brauchte, erhielt die Brücke eben eine Aussparung. Auch wenn das Ladengeschäft schon vor fast einem Jahrzehnt nicht zuletzt wegen der zahlreichen Baustellen in der Nachbarschaft geschlossen wurde, machten die Nägeles mit ihrem Party- und Festservice bis heute weiter.


Nicht ganz so erfolgreich, aber dafür fast noch spektakulärer war der Widerstand eines Kollegen von Karl Nägele. Nur ein paar Schritte entfernt stand einst in der Kronenstraße die Metzgerei Schneider, eine von über 30 Metzgereien, die vor der Sanierung im Dörfle ihren Sitz hatten. Für die Familie Schneider kündigte sich das Verhängnis in Gestalt der Fritz-Erler-Straße an. Diese Verkehrsader sollte wie eine Schneise mitten durch den alten Baubestand geschlagen werden, um die Kriegsstraße mit der neuen Schlossplatzunterführung zu verbinden. Die „autogerechte Stadt“ feierte damals überall ihren Siegeszug und sorgte auch in Karlsruhe für gravierende Veränderungen im Stadtbild. Man denke nur an die Stadtautobahn Kriegsstraße oder an die zahlreichen Unterführungen, in welche die Fußgänger gezwungen wurden, damit sie dem Autoverkehr nicht in die Quere kommen.


Um alle Photos anzusehen, klicken Sie bitte auf den Pfeil rechts im Bild:

Bild 1: Kronenstraße vor der Sanierung, rechts das Gebäude der Metzgerei Schneider

Bild 2: Die Abrissmaßnahmen haben begonnen

Bild 3 + 4: Die Metzgerei Schneider blieb als letztes Gebäude am Eingang der neuen Fritz-Erler-Straße stehen


Die enorme Breite der heutigen Fritz-Erler-Straße hat aber noch einen anderen Grund, wie das Stadtplanungsamt seinerzeit in einem Zeitschriftenaufsatz unumwunden einräumte: "Dabei spielen nicht die Verkehrserfordernisse die Hauptrolle, sondern man sieht in dem Straßendurchbruch die einzige Chance einer Sanierung des kritischsten Bereiches“. Flächensanierung lautete die Devise, und ganze Straßenzüge fielen ihr zum Opfer. Unter ihnen war der südlichste Abschnitt der Kronenstraße zwischen Markgrafen- und Kriegsstraße. Ende der 60er Jahre begannen die Abrissmaßnahmen, die große Freiflächen beidseits des neuen Straßenzugs schufen. Eine kleine Insel blieb dennoch stehen, die Metzgerei Schneider. Fast ein Jahrzehnt lang trotzte sie wie ein Fels in der Brandung dem Verkehr und sorgte für ein Provisorium beim Straßenbau.

Tutilo Karcher: "Metzgerei Schneider"

Während die Fahrbahn der Fritz-Erler-Straße Richtung Süden wie geplant fertig gestellt werden konnte, reichte der Platz auf der anderen Seite nur noch für das Straßenbahngleis. Der Autoverkehr musste einen Schlenker um die Metzgerei herum machen, bis schließlich Ende der 70er Jahre der Hort des Widerstands fiel und die Straße ihre heutige Gestalt erhielt. Fast könnte man meinen, dass der auffällige Knick in der Gebäudefront auf der Ostseite der Fritz-Erler-Straße auf das Provisorium zurückzuführen ist. Dem war aber nicht so, vielmehr handelt es sich hierbei um ein geplantes Element, denn damit wird der einstige Verlauf der Kronenstraße ein Stück weit nachgezeichnet. Auf dem Luftbild lässt sich gut erkennen, dass die Gebäudefronten vor dem „Knick“ exakt in einer Linie mit der Kronenstraße liegen.


Noch einmal zurück zur Metzgerei Nägele und damit zu einer weiteren städtebaulichen Besonderheit. Lässt man auf der gegenüberliegenden Seite an der Wand den Blick nach oben wandern, dann erkennt man dort eine Art Giebel. Ja, richtig, dabei handelt es sich um den Giebel eines Reihenhauses. Oben auf dem massiven Gebäudekomplex aus Parkhaus, Büros und Schulräumen thront eine Zeile Reihenhäuser. Ein exklusives, fast vorstädtisch anmutendes Wohnidyll, sieben Stockwerke über dem Trubel und dem Verkehr. So hatten sich die Planer seinerzeit die Neugestaltung des Dörfle vorgestellt, unten Verkehrsfläche und oben Wohnen.


Reihenhäuser auf dem Dach eines Parkhaus-Komplexes. Diese einzigartige Lösung wurde bei der Neubebauung der Fritz-Erler-Straße umgesetzt


Aber das als „Klein-Manhattan“ verschriene Projekt gelang in seiner vollen Tragweite nicht zur Umsetzung. Und so blieb vom alten Dörfle doch noch mehr übrig als eine Metzgerei. Obwohl, was hätte das für eine schöne Geschichte geben können : „Wir befinden uns im Jahre 1975 n.Chr. Das ganze Dörfle ist von den Immobilienspekulanten besetzt…. Das ganze Dörfle? Nein! Zwei von unbeugsamen Metzgern bewohnte Häuser hören nicht auf, der Abrissbirne Widerstand zu leisten“. Nägelix und Schneiderix, die gallischen Metzger von Karlsruhe, Albert Uderzo und René Goscinny hätten bestimmt ihre Freude daran gehabt.


Nein, den Versuch uns mit den Asterix-Erfindern zu messen, lassen wir lieber und gehen im nächsten Beitrag über die Fritz-Erler-Straße auf den Kronenplatz. Denn der hat nicht minder schöne Geschichten zu bieten.


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