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AutorenbildRenate Straub

Die Grabsteine der unehelichen Kinder

Aktualisiert: 13. Nov. 2020

Allerheiligen, Volkstrauertag, Totensonntag - November ist Friedhofszeit. Lenken wir daher unsere Schritte auf den Alten Durlacher Friedhof vor dem Basler Tor, der ähnlich wie der Alte Friedhof in Karlsruhe (siehe Geschichtshäppchen vom 10. April) heute nur noch als Park dient.

Der Friedhof rund um die Nikolauskapelle entstand nach der 1565 erfolgten Residenzverlegung von Pforzheim nach Durlach. Der ohnehin schon beengte Raum innerhalb der Stadtmauer war dadurch noch rarer geworden, so dass der innerstädtische Friedhof hinter der Stadtkirche vor das Stadttor nach draußen weichen musste. Die dort erbaute Friedhofskapelle fiel gut 100 Jahre später dem Pfälzer Erbfolgekrieg zum Opfer und wurde deshalb 1712 durch die heutige Nikolauskapelle ersetzt. Der damals noch relativ unbekannte Ingenieur und Architekt Jacob Friedrich Batzendorf sollte sich drei Jahre später mit einem weitaus größeren Projekt einen Namen machen: er war 1715 der Erbauer des ersten Karlsruher Schlosses! - Bis zur Eröffnung des Bergfriedhofs 1900 wurde der Alte Friedhof genutzt.

Photo oben: davernos

An den Außenwänden der Nikolauskapelle (die heute als Veranstaltungsraum dient), finden sich einige interessante Grabsteine. Die Namen darauf ähneln sich: Carolina Christiana Johanna, Carl, Carl Christopher Philipp, Carl Christopher Friedrich, Carolina Christophora. Gemein ist allen Toten außerdem eine sehr kurze Lebenszeit - sie starben als Säuglinge oder Kleinkinder - und eine Blutsverwandtschaft. Denn es handelt sich hier um einige der unehelichen Kinder des Karlsruher Stadtgründers Markgraf Karl Wilhelm und seines Bruders Christophs. Von daher finden sich die Namen der beiden Brüder auch in den Vornamen der Kinder wieder.


Ca. 20 uneheliche Kinder von Karl Wilhelm sind durch Akten belegt. Die damalige offizielle Bezeichnung für diese Kinder lautete "natürliche Kinder" . Die beiden Brüder Karl Wilhelm und Christoph haben sich aber immerhin ihrer Verantwortung gestellt. In einer schriftlichen Vereinbarung vom Mai 1717 verpflichteten sie sich gegenseitig, im Todesfall des Bruders jeweils für den Unterhalt der "außerhalb unserem fürstlichen Ehebett erzeugter oder noch zu erzeugender natürlichen Kinder und dero Mütter" zu sorgen. Bruder Christoph starb schon sechs Jahre später, nämlich 1723. Karl Wilhelm musste sich fortan jedoch nicht nur um die unehelichen Kinder seines Bruders kümmern, sondern er bezahlte auch die Ausbildung seiner drei ganz offiziell im Ehebett gezeugten Neffen. Eine gute Investition, denn seine beiden älteren Neffen übernahmen nach Karl Wilhelms eigenen Tod die vormundschaftliche Regierung für Karl Wilhelms Enkel, den erst zehnjährigen Karl Friedrich, da Karl Wilhelms beiden eigene Söhne schon vor ihm verstorben waren.


Aber zurück zu den Grabsteinen. Interessant sind die Todesjahre der Kinder: Sie liegen zwischen 1718 und 1721. Also starben sie erst NACH der Gründung von Karlsruhe und in bis auf einen Fall auch NACH dem im Herbst 1718 erfolgten Umzug von Karl Wilhelm und seinem Bruder nach Karlsruhe. Damit stellt sich die Frage, warum diese Kinder in Durlach und nicht in Karlsruhe bestattet wurden. Letzteres war jedoch schlicht nicht möglich, weil es erst seit 1722 in Karlsruhe einen Friedhof gab. Denn erst in diesem Jahr wurde die Konkordienkirche (sie stand an Stelle der heutigen Pyramide) und der dahinterliegende Friedhof (unser heutiger Marktplatz) geweiht. Bis dahin wurden alle in Karlsruhe Verstorbenen noch in Durlach beerdigt.

Carolina Christiana Johanna war das einzige Kind von den fünf Kindern mit einer Grabplatte an der Nikolauskirche, das noch kurz vor der Verlegung der Residenz (im Herbst 1718) nach Karlsruhe verstarb. Denn ihr Tod erfolgte schon im August (siehe die zwei letzten Zeilen).



Die Steine sind lateinisch beschriftet. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Steinmetze, die die Arbeit verrichteten, Latein beherrschten. Sie arbeiteten nach einer schriftlichen Vorlage und kopierten so Buchstabe für Buchstabe, ohne den Inhalt zu verstehen. Dabei konnten schon mal Fehler unterlaufen (siehe auch das allererste Geschichtshäppchen vom 8. April).

So ist festzustellen, dass Karl Christopher Friedrich, natürlicher Sohn des Markgrafen Christopher von Baden und Hochberg (also Sohn von Karl Wilhelms Bruder Christoph), laut Inschrift am 29. Oktober 1629 geboren (siehe Photo 2. Zeile von oben) wurde und am 16. Juli 1720 starb (siehe unterste Zeile), demnach also 90 Jahre alt geworden wäre. Das wäre zwar theoretisch noch denkbar, aber dass das Geburtsjahr seines Vaters (1684) 55 Jahre VOR der Geburt des eigenen Sohnes liegt, ist nun definitiv NICHT möglich. Hier wurde bei der Jahreszahl MDCXXIX offensichtlich ein X mit einem C verwechselt. Korrekt würde das Geburtsjahr lauten: MDCCXIX = 1719. Das Kind wurde also nur ein dreiviertel Jahr alt.


Und auch bei diesem Grabstein stimmt rechnerisch etwas nicht: Wenn Carolina Christophera am 12. November 1718 geboren und am 28. März verstorben war, so lebte sie definitiv nicht 30 Wochen (SEPTIMA XXX - 4. Zeile von unten), sondern sie starb schon in Ihrer 20. Lebenswoche (SEPTIMA XX).


Interessant auch dieser Grabstein für gleich ZWEI verstorbene Karls: Hier gibt es in der Inschrift recht unsinnige Worttrennungen, z.B. PA CE = PACE = Friede oder auch einen "Tippfehler" in der Zeile: (S)ENIOR CAROLUS UAT(US) = (S)ENIOR CAROLUS NAT(US) = Der ältere Karl geboren am.... Eine Verwechslung der Buchstaben U und N.


Eine weitere Frage stellt sich noch bei den Grabsteinen der unehelichen Kinder: Warum sind sie im Gegensatz zu den anderen Grabsteinen so schlicht, so ganz ohne reliefartige Verzierungen und Dekorationen? Liegt es am niederen Status der Kinder, an den nicht standesgemäßen Müttern? Vermutlich auch, aber der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass diese Grabsteine nie auf dem Friedhof aufgestellt waren, sondern bis 1949 als Bodenplatten in der Nikolauskapelle verlegt waren. Insofern handelt es sich wohl auch nicht um wirkliche Grabsteine, sondern eher um Gedenkplatten, da man unter den Platten in der Kapelle auch keine Gräber oder Gebeine fand.


Von den ursprünglich 11 Bodenplatten sind heute fünf an der Außenwand der Nikolauskapelle zu finden, zwei im Lapidarium im Durlacher Schlossgarten (derzeit allerdings dort wegen Bauarbeiten nicht vorhanden), eine im Pfinzgaumuseum und drei sind verschollen.


Photonachweis: Georg Hertweck von stattreisen Karlsruhe e.V.


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