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AutorenbildRenate Straub

Heiligabend: Schwangere, Wickelkinder und Wöchnerinnen damals und heute

Die Situation unvermögender Schwangerer und Gebärender war nicht nur vor 2020 Jahren schwierig (Stichwort Maria, Josef & das Jesuskind), sondern auch Ende des 19. Jahrhunderts in Karlsruhe. 1892 gründete sich hier deshalb ein Verein mit dem Ziel, ein Wöchnerinnenasyl für bedürftige Ehefrauen aus der Arbeiterschicht ins Leben zu rufen. Man wollte diese Frauen nicht den gesundheitlichen Risiken einer Hausgeburt bei beengten und unhygienischen Wohnverhältnissen aussetzen. Zudem sollte eine Überlastung der Mutter durch die verfrühte Wiederaufnahme ihrer häuslichen Pflichten verhindert und letztlich auch dem Missbrauch der Wöchnerin im Wochenbett durch den Ehemann vorgebeugt werden. Der Verein mietete im Vereinskrankenhaus des Badischen Frauenvereins an der Kaiserallee (Höhe Schillerstraße) Räumlichkeiten für das Wöchnerinnenasyl an. Heute befindet sich hier die Psychiatrie des Städtischen Klinikums.


Der medizinische und pflegerische Standard war hoch, so dass bald auch Frauen höherer Stände eine Entbindung im Krankenhaus einer damals üblichen Hausgeburt vorzogen, vor allem, wenn Komplikationen zu erwarten waren. So wurde 1900 eine Privatstation für selbst zahlende Wöchnerinnen eingerichtet, während die Kosten für die Arbeiterfrauen vom Verein "Wöchnerinnenasyl" übernommen wurden. Auf Grund der großen Nachfrage reichte der Platz im Vereinskrankenhaus des Badischen Frauenvereins schon bald nicht mehr aus, weshalb 1912 direkt neben dem Hauptgebäude ein Neubau für das Wöchnerinnenheim errichtet wurde.



Im Erdgeschoss befanden sich Entbindungs- und OP-Saal für Kaiserschnitte, dazwischen ein weiß gekachelter sogenannter Vorbereitungsraum. Dort widerfuhr den Arbeiterfrauen folgende Behandlung: "Hier werden die Kreißenden auf einen weiß lackierten Vorbereitungstisch aus Eisen gereinigt und desinfiziert und kommen dann mit sterilen Tüchern an den Genitalien bedeckt in den Geburtssaal oder den Operationssaal." Während im Entbindungssaal drei Betten nebeneinander standen, nur durch rollbare Sichtschutzwände voneinander getrennt, konnten die selbst zahlenden Damen der ersten und zweiten Klasse in ihren persönlichen Einzelzimmern entbinden. Im 1. und 2. OG des Hauses befanden sich die Wöchnerinnenstationen und das Kinderzimmer, im Dachgeschoss die Schwesternzimmer, im Keller die Milchküche.


Sogenannte "gefallene Mädchen", also ledige Schwangere, durften im Wöchnerinnenasyl jedoch NICHT entbinden, auch wenn man das bei dem Wort "Asyl" eigentlich vermuten sollte. Aber nein, diese Einrichtung war zunächst NUR EHEFRAUEN vorbehalten. Bis 1920 fanden außereheliche Geburten ausschließlich im Städtischen Krankenhaus statt. Als dort aber in den zwanziger Jahren aus Platzgründen die geburtshilfliche Station aufgegeben werden sollte, erklärte sich nach einigem Zögern der Badische Frauenverein schließlich doch bereit, auch sogenannte "ledige Mütter" aufzunehmen: Aber nicht mehr als fünfzehn unmittelbar vor der Niederkunft und nur max. sechs Schwangere ca. zehn Wochen vor der Geburt. Letzteres war notwendig, weil z.B. schwangere Dienstmädchen in der Regel mit Sichtbarwerdung ihres Zustandes nicht nur ihre Stelle im Haushalt sondern auch ihre dortige Unterkunft verloren.


Die Frauenklinik in Heidelberg nahm hingegen 40 ledige Schwangere bis drei Monate vor der Entbindung auf. War man in der Universitätsstadt toleranter als in der Residenzstadt? Moralisch aufgeschlossener? Nicht wirklich. Die ledigen Mütter aus den unteren Schichten dienten in Heidelberg als "Lehrmaterial" für die Medizinstudenten, weshalb die Entbindung dort für dieses Klientel auch nur dann unentgeltlich war, wenn die Frauen mindestens 14 Tage vor der Entbindung in der Klinik eintrafen, um so eine ausreichende Zeit für Untersuchungen durch die Medizinstudenten zur Verfügung zu stehen. In Karlsruhe konnte man hingegen nicht Medizin studieren und auch eine Hebammenlehranstalt eröffnete erst 1923, weshalb eine längere vorgeburtliche Aufnahme einer Schwangeren nur ein Kostenfaktor war und keinen Nutzen für das Krankenhaus brachte. Daher die hiesige Zurückhaltung und die "Großzügigkeit" in Heidelberg. Um die Kosten zu reduzieren erledigten die später so genannten "Hausschwangeren" während der Zeit vor der Geburt leichte Hausarbeiten in der Klinik. In der Landesfrauenklinik, der Nachfolgerin der Vereinsklinik des Badischen Frauenvereins, gab es bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre noch Hausschwangere. Nach Schließung der Landesfrauenklinik 1982 zog in die Gebäude 1987 die Psychiatrie des Städtischen Klinikums.


Aber noch einmal zurück zum Gebäude des Wöchnerinnenheims von 1912. Entsprechend seiner Funktion erhielt das Haus "Kunst am Bau" - bestehend aus einem Medaillon mit einem Wickelkind vor blauem Hintergrund, vermutlich aus der Karlsruher Majolika stammend.

Dieses Wickelkind ist jedoch keineswegs ein original Karlsruher Kindl, sondern die Kopie eines Wickelkindes des Renaissancekünstlers Andrea della Robbia, das 1487 zusammen mit neun weiteren "Bambini" an der Fassade des ersten Waisenhaus Europas in Florenz angebracht wurde. Hier das Florentiner Vorbild:


Und noch ein paar weitere Bambini aus Florenz:

http://www.florentinermuseen.com/musei/ospedale_degli_innocenti.html

Im Ospedale degli Innocenti, dem 1444 eröffneten Spital/Heim der Unschuldigen, wurden Findelkinder aufgenommen, großgezogen und in einem Beruf ausgebildet. Dieses Gesamtkonzept war neu und nicht mit älteren Findelhäusern vergleichbar.

Selbst eine Babyklappe gab es damals schon, wenn auch noch nicht in Form eines beheizten Babybettchens, sondern es handelte sich um einen drehbaren Steinzylinder inkl. Glocke.


An Stelle des Gitters in dem quadratischen Fenster befand sich eine rotierende Trommel, in die unerwünschte Babys gelegt werden konnten, ohne dass der Überbringer des Kindes zu erkennen war.









Gut 40 Jahre nach der Inbetriebnahme des Ospedale war offensichtlich genügen Geld vorhanden, um die Fassade des Hauses etwas "aufzupeppen": Die Medaillons mit den Bambini sollten schon von außen auf die Funktion des Gebäudes hinweisen.

Photo: davernos - Das Ospedale degli Innocenti in Florenz, eines der ersten Renaissancebauwerke


Heute wird das Gebäude zum Teil noch immer als Kinderheim genutzt, beherbergt aber auch eine Galerie, ein schönes Café und Büros von Unicef. Aber nicht nur Florenz und Karlsruhe sind durch das Robbia-Wickelkind miteinander verbunden, sondern der Weg führt weiter nach Norden bis Bremen. In der dortigen Kunsthalle befindet sich seit 2011 ein Gemälde von Paula Modersohn aus dem Jahr 1905: Stillleben mit Robbia-Putto.

https://www.posterlounge.de/p/619174.html - Hier können Sie sich sogar einen Druck des Gemäldes kaufen.


Und noch einmal weg von der Kunst in die Niederungen des Alltags: Warum wickelte man Säuglinge eigentlich früher bis zur Bewegungsunfähigkeit mit Bandagen? Man glaubte, dass Babys sich bei freier Bewegungsfähigkeit verrenken und der Körper nicht gerade wachsen würde.


Und zum Schluss ein weihnachtlicher Hinweis: Wenn Sie an Weihnachten an der Kaffeetafel sitzen und auf den appetitlichen Dresdner Stollen mit viel Puderzucker blicken, so ist in diesem Gebäck auch viel Symbolik enthalten: Die Form des Stollens und der weiße Puderzucker sollen an einen in weiße Windeln gewickelten Säugling erinnern, ganz im Sinne des Evangelisten Lukas: Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und bleiben wir bei der Bibel: Der Kindermord von Bethlehem gab dem Ospedale degli Innocenti seinen Namen. Innocenti (= die Unschuldigen) wurden die ausgesetzten Kinder in Erinnerung an die ermordeten Kinder von Bethlehem genannt.



Lösung des letzten Rätsels:

Die Antwort b) war richtig. Es handelt sich um das Fundament eines Wasserkrans. Wenn Sie sich einen funktionstüchtigen Wasserkran ansehen wollen, müssen Sie nach Bad Herrenalb fahren. Dort gibt es noch einen Wasserkran für die Dampfeisenbahnfahrten durch das Albtal.



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