Was verbindet Paris, Karlsruhe und Istanbul?
Nein, hier ist nicht der Orient-Express gemeint, sondern der Stier, den meine Schwester und ich an den Hörnern packen.
Er ist das verbindende Element zwischen den drei Städten. Denn sein Geburtsort ist Paris und heute lebt er sowohl im Karlsruher Stadtgarten als auch in Kadıköy, einem Geschäfts- und Ausgehviertel von Istanbul.
Wie kam es dazu?
1912 wurde der Stier zur Verschönerung des Stadtgartens nach einem Modell aus dem Jahr 1865 gegossen, das vom bedeutensten französischen Tierbildhauer des 19. Jahrhunderts, Isidore Jules Bonheur, stammte. Dem wiederum diente ein Stier seiner älteren Schwester Rosa als Vorbild, ebenfalls Bildhauerin und Malerin, dem Naturalismus und Realismus verpflichtet. Spezialgebiet Rinder und Pferde! Als der Karlsruher Stier gegossen wurde, waren beide Geschwister bereits verstorben.
Und wie kam der Stier nach Istanbul?
1865 stellte Isidore Bonheur Gipsmodelle zwei verschiedener Stiere im Pariser Salon und auf der Weltausstellung aus. Dort fielen sie Sultan Abdülaziz ins Auge, der als erster Sultan des Osmanischen Reiches nach Westeuropa gereist war, u.a. auch die Weltausstellung in Paris besuchte und dort 24 lebensgroße bronzene Tierfiguren bestellte, darunter auch die zwei Stiere. Die Skulpturen wurden nach Istanbul geliefert und im Laufe der Zeit an unterschiedlichen Orten aufgestellt. 1987 landete letztlich der eine Stier, das Pendant zu unserem Karlsruher Stier, mitten auf der Altıyol, der großen zentralen Kreuzung im Geschäfts- und Ausgehviertel von Kadıköy. Die lebensgroße Skulptur aus Bronze ist für die Kadıköyer inzwischen so etwas wie das Wappentier ihres Stadtteils geworden.
Aber zurück zu Rosa Bonheur (1822 - 1899), der eigentlichen "Mutter" des Stiers.
Sie lebte im 19. Jahrhundert ein Frauenleben außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Konventionen. Normalerweise hätte das bei einer Frau zur damaligen Zeit zu einer allgemeinen Ächtung geführt, nicht jedoch bei Rosa Bonheur. Sie wurde bei Hof eingeladen und mit öffentlichen Ehrungen überschüttet – die Kaiserin Eugenie überbrachte ihr persönlich die Ernennung zum »Offizier der Ehrenlegion« - als erster Frau überhaupt.
Auf ihre spätere Kariere als Malerin und Bildhauerin bereitete sie sich vor, indem sie bereits mit 14 Jahren die alten Meister im Louvre kopierte und für Anatomiestudien und Tierskizzen die Pariser Schlachthöfe und Pferdemärkte aufsuchte. Zu diesem Zweck trug sie Männerkleidung und kurze Haare und rauchte zudem Zigarren. Von ihrer Umgebung wurde sie als homosexuell wahrgenommen, obwohl sie zeitlebens bestritt, lesbisch zu sein. Für Männer interessierte sie sich aber offensichtlich nicht: "In Wirklichkeit interessiere ich mich, was männliche Wesen anbelangt, nur für die Stiere, die ich male".
Mit 14 hatte Rosa Bonheur die zwei Jahre jüngere Nathalie Micas kennengelernt, mit der sie bis zu ihrem Tod zusammen lebte.
Offizielle Erlaubnis Männerkleidung zu tragen (1857)
Da finanziell sehr erfolgreich, kaufte sie sich einen Landsitz, Schloss Chateau de By in der Nähe von Fontainebleau, wo sie fortan wohnte und arbeitete, und zwar nicht alleine, sondern in einem Drei-Frauen-Haushalt mit Nathalie Micas und deren Mutter. (Die Mutter führte den Haushalt und Nathalie kümmerte sich um Leinwände und verhandelte mit Galeristen). Weitere Mitbewohner waren zahlreiche "Haustieren".
Denn zunehmend wuchs Bonheurs Interesse für Großwild. 1880 schenkte ihr Agent ihr zwei Zirkuslöwinnen, aus den USA erhielt sie Wildpferde. 1889 malte sie Bisons und Mustangs der Wildwest-Show von William Frederick Coy, genannt Buffalo Bill.
Ein Porträt Codys hoch zu Ross nutzte dieser zur Eigenwerbung und bedankte sich dafür bei Rosa Bonheur, indem er auf ihrem Landsitz ihre Wildpferde zuritt.
Cody kam mit seiner Wildwestshow 1891 im Rahmen seiner Europatournee auch nach Karlsruhe (siehe dazu den gestrigen Beitrag)!
Rosa Bonheurs für das 19. Jahrhundert einmaliger Publikumserfolg erklärt sich gewiss durch ihre handwerkliche Perfektion und ihre Motivwahl – die realistischen Tier- und Landschaftsdarstellungen entsprachen dem Zeitgeschmack eines bürgerlichen Publikums, das sich mit der vom Adel favorisierten Historienmalerei vorangegangener Zeiten nicht mehr identifizierte – ebenso wichtig aber war ihre Ausnahmerolle als Frau in einer von Männern beherrschten Kunstwelt. Sie hatte »Starqualitäten«, wusste dies auch und verstand es, das mal von Faszination, mal von Skandallust geprägte Interesse an ihrer Person und damit auch an ihren Bildern, über Jahrzehnte wachzuhalten.
Auch wenn der Stier im Stadtgarten coronabedingt zur Zeit nicht besucht werden kann, so lässt sich vielleicht doch durch das Gitter neben der Drehtür an der Bahnhofstraße südlich der Stadtgartenbrücke ein kurzer Blick auf ihn erhaschen.
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Lösung von gestern:
Der zweite Indianerbrunnen in der Südstadt befindet sich in der Baumeisterstraße auf dem ehemaligen Grundstück des Spediteurs und Brennstoffhändlers Steffelin. Um den Anblick auf Lagerschuppen, Ställe und Remisen von der Baumeisterstraße her zu verbergen und die Baulücke in der Häuserzeile zu kaschieren, wurde eine Schauwand errichtet, die ein Brunnen mit einem Indianerkopf schmückte. Hintergrund für die Motivwahl war die kontrovers geführte Debatte um die Aufstellung des Indianerbrunnens am Werderplatz. Konservative Südstadtkreise hatten die Aufstellung dort zunächst verhindert, weil sie sich durch den Indianer verunglimpft sahen. Hubert von Steffelin zeigte mit dem Indianerbrunnen auf seinem Privatgrundstück, dass er für diese Einstellung nur Spott übrig hatte.
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