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AutorenbildGeorg Hertweck

Hermann Billing: Planer, Professor und Provokateur

Aktualisiert: 3. Apr. 2021


„Vom Bezirksamt Karlsruhe genehmigt“ prangte in goldenen Lettern von einem seiner Häuser. So als ob er aller Welt sagen wollte, ich mache das, weil ich es kann. Kein Zweifel, an Selbstbewusstsein mangelte es Hermann Billing nicht – und das weckte bisweilen den Povokateur in ihm. Kontrovers diskutiert war zu Lebzeiten, „kopfschüttelnd stand mancher vor seinen Bauten“, schrieben die BNN in seinem Nachruf. Heute dagegen gilt der vor 75 Jahren am 2. März 1946 verstorbene Architekt und Hochschullehrer als einer der bedeutendsten Baumeister in der Geschichte der Fächerstadt. Trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und weiteren Verlusten in der Nachkriegszeit prägen noch heute zahlreiche Bauten von Hermann Billing das Stadtbild. Und das nicht nur in Karlsruhe, sondern von Kiel bis Lindau lässt es sich quer durch die Republik auf den Spuren von Hermann Billing wandeln, ja sogar am Gardasee und im fernen Helsinki.


Hermann Billing war – im Gegensatz zu seinen Konkurrenten Curjel & Moser, Ostendorf und Laeuger – ein waschechter Karlsruher. 1879 kam er im Dörfle als Sohn eines Maurermeisters und Bauunternehmers zur Welt, womit ihm die Nähe zur Baukunst quasi schon in die Wiege gelegt worden war. Da der junge Hermann zeichnerisches Talent zeigte, führte ihn sein Bildungsweg über die Kunstgewerbeschule schließlich an die Technische Hochschule. Nach nur vier Semestern brach er jedoch das Architekturstudium wieder ab, um stattdessen praktische Erfahrungen zu sammeln. Gerade einmal 25 Jahre alt, startete Billing seine Karriere als „Privatarchitekt“ in Karlsruhe, finanziell abgesichert durch das Vermögen seiner ersten Ehefrau Selma, der Tochter eines Brauereibesitzers. Die Weserbrücke in Bremen als Erstlingswerk des jungen Architekten ist ebensowenig erhalten wie sein erster Auftrag in Karlsruhe für ein Wohnhaus in der Rüppurrer Straße, das wenige Jahre später dem Bahnhofsbau weichen musste.

Frühwerke von Hermann Billing: Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Bremer Weserbrücke, das Melanchthonhaus in Bretten und ein Wohnhaus in der Eisenlohrstraße (Zum Vergrößern die Bilder anklicken)


Dagegen können mit dem Verwaltungsgebäude der Firma Lorenz am Ettlinger Westbahnhof, dem Melanchthonhaus in Bretten und den Wohnhäusern in der Eisenlohrstraße wichtige Bauten aus Billings erster Schaffensperiode auch heute noch bewundert werden. Alle zeigen die für diese Phase prägenden Anleihen von der Romanik bis zur Spätgotik.

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts feierte der Jugendstil in Karlsruhe große Erfolge und Hermann Billing war in seiner wichtigsten Schaffenszeit mittendrin dabei. In dieser Zeit entstanden neben zahlreichen Wohnhäusern beispielsweise die Hofapotheke und die Bebauung der Baischstraße mit dem markanten Portikus am Mühlburger Tor. Seinen Ruf als „tendenzvoller Monumentalist“, wie es der Kunstkritiker Karl Scheffler formulierte, festigte Billing auch außerhalb Karlsruhes, beispielsweise mit der Kunsthalle in Mannheim, dem Rathaus Kiel oder den markanten Türmen der Rheinbrücke in Duisburg-Homberg.

Der "tendenzvolle Monumentalist": Wichtige Bauten von Hermann Billing sind (im Uhrzeigerinn) Hofapothke, Baischstraße Torhaus, Baischstraße, Kunsthalle Mannheim, Rheinbrücke Duisburg und Rathaus Kiel (zum Vergrößern bitte anklicken)



In seiner Heimatstadt erfuhr die Karriere des dreimal verheirateten Vaters von acht Kindern dagegen einen leichten Knick, als er 1905 mit dem Brunnen auf dem Stephanplatz einen Skandal entfachte. Hier zeigte sich einmal mehr Billings Neigung zum Widersprüchlichen, ja sogar zur Provokation, was ihm zeitweise den Ruf eines „enfant terrible“ verschafft hatte. Nachdem der erste Entwurf des Brunnens abgelehnt worden war und sein Hauptkritiker Reinhard Baumeister statt der Quellnymphe lieber ein Trachtenmädchen als Brunnenfigur gesehen hätte, nutzte Billing seine künstlerischen Freiheiten aus und setzte im zweiten Anlauf buchstäblich zum Rundumschlag an. Die Rotunde um den Brunnen zieren Männerköpfe, in denen unschwer die damaligen Honoratioren der Stadt erkennbar waren. Auch der Künstler selbst und sein Freund, der Bildhauer Hermann Binz, ließen sich verewigen. Und alle schauen auf eine unbekleidete Frauenfigur im Zentrum des Brunnens, was konservative Kreise auf die Barrikaden trieb. „Ein Verderbnis für das Anstands- und Schamgefühl der heranwachsenden Jugend“, ereiferte sich beispielsweise die „Badische Presse“. Außerhalb der Stadtgrenzen wurde Billing dagegen als mutiger Vorkämpfer für die Freiheit der Kunst gefeiert.


Hauptbahnhof Helsinki

Diese Affäre steckte möglicherweise noch in manchen Köpfen, als es um den Neubau des Karlsruher Hauptbahnhofs ging. Obwohl Billings Entwurf von der Jury mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, wählte die Eisenbahndirektion letztlich den drittplatzierten August Stürzenacker aus. Dieser wiederum ließ in der Folgezeit viele Elemente Billings in seinen eigenen Entwurf einfließen, was den Verschmähten nicht gerade gnädiger gestimmt haben dürfte. Doch nicht nur der Karlsruher Hauptbahnhof zeigt die Handschrift von Hermann Billing, sondern auch in weiter Ferne der Bahnhof der finnischen Hauptstadt Helsinki.


Atelier und Wohnhaus am Leopoldplatz

Dessen Architekt Eliel Saarinen war auf den deutschen Kollegen aufmerksam geworden und nahm von einem Besuch in Karlsruhe viele Anregungen für sein eigenes Werk mit. Auch mit anderen Architekten stand Hermann Billing in regem Kontakt und einige, wie Josef Mallebrein, Wilhelm Vittali und Leopold Stober, wurden zeitweise als Partner in das florierende Büro aufgenommen. Dieses hatte seit 1905 sein Domizil am Leopoldplatz.


Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Hermann Billing als Reserveoffizier teilgenommen hatte, nahm die Zahl der Bauten ab. Stattdessen widmete er sich verstärkt seiner Lehrtätigkeit, die 1903 mit der Ernennung zum Professor an der Großherzoglichen Akademie der Bildenden Künste begonnen hatte. Auf diesen Titel war Billing ungemein stolz und legte Wert auf die Anrede „Herr Professor“. Nach dem Tod Friedrich Ratzels übernahm Billing 1907 dessen Architektur-Lehrstuhl an der Technischen Hochschule, obwohl er selbst keinen akademischen Abschluss vorweisen konnte.

Professorale Visitenkarten

Nach dem Ersten Weltkrieg war Hermann Billing außerdem Mitbegründer der Badischen Landeskunstschule und deren erster Direktor. Architektonisch trat er in der Nachkriegszeit kürzer und realisierte nur noch wenige Großprojekte, wie etwa das Krankenhaus in Singen am Hohentwiel. Wichtigste Herausforderung dieser Zeit war die Neugestaltung des Ettlinger-Tor-Platzes. Zu Billings 60. Geburtstag hatte ihm die „Badische Presse“ gewünscht, dass dies „dem Jubilar als Krönung seines Lebenswerkes recht bald vor eine bedeutende monumentale städtebauliche Aufgabe stellen möge.“ Über die Jahre änderte Billing seinen Plan für die Bebauung am Ettlinger Tor wiederholt und passte sie dem jeweiligen Zeitgeschmack an, doch das von ihm angestrebte Gesamtkunstwerk blieb unvollendet und beflügelt bis heute die Phantasie der Stadtplaner. Drei Bauten aus dem Konzept wurden von Billing selbst noch realisiert: Die Hauptfeuerwache, die Oberpostdirektion (heute Volkswohnung) und der Wohnblock an der 1928 nach dem Architekten benannten Straße.

Brennpunkt Ettlinger Tor: Aus Billings Entwurf für eine Neugestaltung des Platzes wurden drei Bauwerke realisiert: Oberpostdirektion, Feuerwache und Wohnblock beim Landratsamt


Dass eine Straßenbenennung noch zu Lebzeiten des Namensgebers erfolgt, ist in Karlsruhe eher die Ausnahme und zeigt die besondere Wertschätzung für den großen Sohn. Zuvor war diese Ehre schon dem Architekten Reinhard Baumeister zuteil geworden, dem Billing spätestens seit der Brunnenaffäre in herzlicher Abneigung verbunden war. So darf es fast schon als Ironie des Schicksal gelten, dass beide Straßen direkt aufeinanderstoßen.


Die legendäre Inschrift mit der Bezirksamts-Genehmigung sucht man allerdings in Karlsruhe heute vergebens. Obwohl das dazugehörige Gebäude in der Eisenlohrstraße 27 den Krieg gut überstanden hatte, wurde es 1971 von dem Bauunternehmer Gutmann abgerissen. Was an dieser Stelle entstand, ist heute noch ein beschämendes Denkmal für den Sieg der Immobilienspekulation über die Belange des Denkmalschutzes. Außerdem ist der brachiale Klotz, der in der Umgebungsbebauung vollkommen überproportioniert wirkt, ein Armutszeugnis sondergleichen für den Architekten des ebenso einfallslosen wie nichtssagenden Neubaus.

Wie schmerzhaft der Verlust historischer Bausubstanz bisweilen sein kann, wird in der Eisenlohstraße 27 besonders deutlich. Das von Hermann Billing entworfene Wohnhaus Utz musste 1971 einem gesichtslosen und unproportionierten Neubau weichen.




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